Story

 

Henning verbringt mit seiner Frau Theresa und den beiden zwei und vier Jahre alten Kindern die Neujahrstage in Lanzarote. Nach einem eher enttäuschenden Silvesterabend schwingt sich Henning am Neujahrsmorgen auf das gemietete Mountainbike. Er will den vor ihm liegenden Atalaya- Vulkan erklimmen.

 

Auf der Fahrt, lässt er den Silvesterabend - an dem Theresa mit einem Franzosen flirtete und tanzte - Revue passieren, ebenso die darauffolgende Nacht in der ES wieder aufgetaucht ist. Als ES bezeichnet er ein unheimliches Angstgefühl, eine Panikattacke, begleitet von körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Atemnot und Schweissausbrüchen. Dieses trat anfänglich nachts, dann auch tagsüber auf. Zwischen den Attacken ringt er jeweils mit der Angst vor der nächsten Attacke. 

Henning mobilisiert auf dem steilen Anstieg seine ganzen Kräfte.

 

Sein Leben geht ihm durch den Kopf. Seine Frau und er teilen sich die Familienarbeit auf, beide sind berufstätig, sie erfolgreicher als er, deshalb übernimmt er ein bisschen mehr Hausarbeit. Henning befürwortet als moderner Mann dieses zeitgemässe Familienmodell, trotzdem scheint er sich mit diesen Ansprüchen an sich selbst zu überfordern. Es bleibt neben Beruf, Kinderbetreuung und Haushalt wenig Raum und Zeit für sich selber und füreinander als Paar.  Er und seine jüngere Schwester Luna wuchsen bei der alleinerziehenden Mutter auf, die mit Arbeit Kindererziehung und Haushalt überfordert war, sich deshalb oft übermüdet fühlte und die Kinder spüren liess, dass sie als kunstinteressierte Frau ihretwegen auf vieles verzichten musste, das ihr Freude bereitet hätte. Von klein auf an fühlte sich Henning für seine Schwester verantwortlich und er kümmert sich auch jetzt immer noch um sie, was Theresa missfällt.

 

Die Radfahrt ist enorm anstrengend. Die Muskeln schmerzen zunehmend, Henning hat nichts zu trinken bei sich. Er ist so erschöpft und dehydriert, dass er zusammenbricht. Eine deutsche Frau, Lisa, die etwas oberhalb der Siedlung Fémes wohnt, kümmert sich um ihn. Sie nimmt ihn ins Haus, gibt ihm zu trinken, brät ihm eine wunderbare Tortilla. Anschliessend führt sie ihn durchs Haus. Ihm fallen bemalte Steine auf, solche hatte seine Mutter im Badezimmer. Und er sieht eine Aussenwand des Hauses voll mit schwarzen Spinnen und er hat das Gefühl von einem Deja-vu, und als ihm Lisa die für die Gartenbewässerung benutzte Zisterne zeigt und einen Ausstellungsraum voller bemalter Steine, wird er zurück in seine Kindheit versetzt:

 

Er erlebt, wie er als Kind mit Schwester Luna, Vater und Mutter in diesem Haus in Lanzarote Ferien verbrachte. Wie er sich eines Tages nach einem Streit der Eltern allein mit seiner Schwester im Haus befand, die Eltern waren nicht mehr da. Wie er mit seiner Schwester tagelang die Rückkehr der Eltern erwartete – zunehmend hungrig, durstig. Henning wusste, dass er auf seine Schwester aufpassen muss. So versuchte er sie zu trösten und Zuversicht zu spenden obwohl er selber als Vierjähriger mit der Situation völlig überfordert war und grosse Angst aushalten musste. Schliesslich kam der Gärtner gerade noch rechtzeitig, um die beiden Kinder aus einer gefährlichen Situation bei der offenen Zisterne zu retten.

 

Wieder zuhause nach dem Urlaub wird Henning bei einem Telefongespräch mit seiner Mutter klar, dass diese Erlebnisse als Kind in Lanzarote tatsächlich geschehen sind. Er muss dieses Trauma  verdrängt / vergessen haben. Seine Mutter berichtet ihm, wie es kam, dass er und Luna tagelang alleine in dem Haus waren und sie meint, dass er danach lange eine übertriebene Angst um Luna hatte.  Jetzt weiss er, dass er schwer traumatisiert ist. Er erkennt, dass er seine Schwester Luna, die er über alles liebt, in die Selbständigkeit entlassen muss – er muss damit sie und sich selbst retten.

 

Autorin

 

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman »Adler und Engel« (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt.
Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet. 2018 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde sie zur Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt.

 

Sprache

 

Juli Zeh erzählt in kurzen, einfachen Sätzen im Präsens. Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der zweite Teil wird aus der Sicht und teilweise mit den Worten des 4 -Jährigen Henning erzählt.

 

 

 

Mein Eindruck

 

Das Buch ist kurzweilig und flüssig zu lesen. Die Anforderungen, die Henning an sich selbst stellt, nämlich ein moderner, attraktiver, und liebenswerter Mann zu sein und damit sein selbst auferlegter Druck ist nachvollziehbar. Seine Liebe und Anhänglichkeit zu seiner Schwester ist verständlich nach allem, was er mit ihr als Kind erlebt hat.

 

Ob die Schlussfolgerung im Buch, also die Loslösung von der Verantwortung für seine Schwester und das Aufdecken und Bewusstwerden des kindlichen Traumas heilsam für den Protagonisten ist, sein Selbstbewusstsein stärken wird und eine Beseitigung seiner Ängste mit sich bringt?                                  

 

Kommentare: 2
  • #2

    Claudia (Dienstag, 22 Oktober 2019 15:21)

    Diese Geschichte hat mich sehr aufgewühlt. Ich hatte eine Zeit lang Angst um die kleine Schwester ob sie doch noch in das Loch fällt? Zum Glück nicht! Ein spannendes Familiendrama.

  • #1

    Ernst (Montag, 30 September 2019 16:58)

    Sehr spannendes Familiendrama, das sich hauptsächlich im Kopf von Henning abspielt, als er endlich seinen Vorsatz, etwas Sport zu treiben mit dem Velo auf den Berg in Lanzarote übertreibt und zu seiner traumatischen Kindheitsgeschichte findet.
    Story, Sprache und Unterhaltung sind für mich überdurchschnittlich - Juli Zeh hat zu ihrem Potenzial gefunden.